Bundesarbeitsgericht lässt alte Videoaufzeichnungen als Beweismittel zu

Heute ist der 25.08.2018. Eigentlich wollten wir einen Artikel á la „Drei Monate DS-GVO – ein Erfahrungsbericht“ veröffentlichen. Da in den letzten drei Monaten allerdings nichts wirklich erwähnenswertes passiert ist, freuen wir uns, dass uns das Bundesarbeitsgericht (BAG) ein anderes Thema liefert: Mit Urteil vom 23.08.2018 (2 AZR 133/18) hat das BAG nämlich entschieden, dass gemäß Bundesdatenschutzgesetz (Achtung, es geht hier um die alte, seit 25.05.2018 nicht mehr gültige Fassung, daher im Folgenden BDSG-aF abgekürzt) auch mehrere Monate alte Aufnahmen einer Videoüberwachungskamera aus einem Tabakwarengeschäft in einem Arbeitsgerichtsprozess als Beweis gegen eine Mitarbeiterin verwertet werden dürfen. Mit etwas Recherche konnten wir ermitteln, dass die Daten aus dem Zeitraum 01.01.2016 bis 30.06.2016 stammten und die Auswertung im August 2016 erfolgte. Die Speicherdauer betrug also für die ältesten Daten mehr als sieben Monate. Der Grund für die Auswertung der Aufnahmen war gemäß dem Urteil des in erster Instanz urteilenden LAG Hamm, der Verdacht auf Diebstahl durch die Mitarbeiter aufgrund von erhöhten Fehlmengen.

Das BAG-Urteil

Die Urteilsbegründung des BAG nehmen wir hier einmal grob zusammengefasst vorweg: Sofern die Videoüberwachung rechtmäßig erfolgt sei, dürfe mit der Auswertung der Aufzeichnungen gewartet werden, bis der Betreiber die Notwendigkeit der Auswertung sehe. Darüber hinaus wird in der Pressemitteilung des BAG darauf hingewiesen, dass auch die aktuellen Regelungen (DS-GVO und BDSG) einer Verwertung nicht entgegenstünden.

Ein in unseren Augen aus Datenschutzgesichtspunkten fragwürdiges Urteil. Wir möchten unsere diesbezügliche Sichtweise erläutern:

Für die Videoüberwachung in einem Tabakwarengeschäft, so wie sie in dem vorliegenden Urteil erfolgte, gab es zwei relevante Normen: § 6b Satz 1 Nrn. 2 und 3 BDSG-aF und § 32 Satz 2 BDSG-aF. Insbesondere auf § 32 BDSG-aF stützt das BAG seine Begründung. Soweit stimmen wir dem BAG zu. Die Videoüberwachung wird vermutlich rechtmäßig erfolgt sein, zumindest wollen wir das nicht anzweifeln.

Große Teile der Datenschutz-Prinzipien ignoriert

Bemerkenswert ist allerdings die Tatsache, dass das BAG offenbar vollkommen die grundlegenden Prinzipien des Datenschutzes, die auch von den Aufsichtsbehörden in Veröffentlichungen  und in der Prüfpraxis immer wieder als Begründung  herangezogen werden, ignoriert hat. Zum einen galt (und gilt nach der DS-GVO unter anderem Namen weiter) das Prinzip der Datensparsamkeit. Das bedeutet nicht nur, dass möglichst wenig Daten erhoben werden sollen, sondern auch dass Daten nur solange gespeichert werden dürfen, bis sie nicht mehr benötigt werden. Diese Datensparsamkeit war festgeschrieben in den §§ 3a BDSG-aF und 35 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BDSG-aF. Insbesondere § 35 BDSG-aF ist dabei unseres Erachtens vom BAG vollkommen ignoriert worden: Daten sind zu löschen, wenn Sie für den Zweck der Erhebung nicht mehr benötigt werden. Nun lässt sich vermutlich trefflich streiten, wann die Daten einer Videoüberwachung nicht mehr zur Zweckerreichung benötigt werden. Die Ansicht der Aufsichtsbehörden war jedoch diesbezüglich in der Vergangenheit eindeutig: Aufnahmen waren grundsätzlich nach 72 Stunden zu löschen. Davon ausgenommen waren lediglich diejenigen Aufnahmen, die zur Beweissicherung extrahiert wurden (also beispielsweise die konkrete Aufnahme des erfassten Ladendiebstahls). Diese sehr strenge Auffassung war zwar auch bisher von den Gerichten teilweise nicht geteilt worden. So wurde beispielswiese in einem Urteil des OVG Lüneburg (LC 114/13) eine Speicherdauer von zehn Tagen als angemessen angesehen. Wir selbst haben mit Verweis auf dieses Urteil in einem vergleichbaren Fall eine Einigung mit der Aufsichtsbehörde in Nordrhein-Westfalen auf eine Speicherdauer von sieben Tagen erreichen können. Im Ergebnis zeigt dies jedoch, dass sowohl die Aufsichtsbehörden, also auch die Gerichte eine kurze Speicherdauer verlangen, die weit unterhalb der jetzt entschiedenen Speicherdauer von sechs Monaten liegt.

Vorratsdatenspeicherung

Im hier vorliegenden Fall hat der Arbeitgeber die Daten zunächst über mehrere Monate aufbewahrt. Als dann später Fehlbestände festgestellt wurden, wurde rückwirkend ein Zeitraum von ca. sechs Monaten ausgewertet. Es stellt sich die Frage, was passiert wäre, wenn die Fehlbestände erst weitere sechs Monate später festgestellt worden wären.

Mit dem hier vorliegenden Urteil hat das BAG unseres Erachtens ein Urteil gesprochen, dass die bisherige Praxis auf den Kopf stellt. Kein Datenschutzbeauftragter, hätte aufgrund der bis dato herrschenden Meinung seinen Mandanten ein solches Vorgehen empfohlen, sondern hätte mit aller Deutlichkeit auf eine kürzere Speicherdauer hingewirkt.

Was würden wir tun?

Um mit dem Urteil konstruktiv umzugehen, möchten wir kurz das Vorgehen schildern, wie wir es unseren Mandanten geraten hätten. Achtung: Wir berücksichtigen hier die aktuelle Gesetzeslage nach DSGVO und BDSG. Und wir gehen an dieser Stelle davon aus, dass die Videoüberwachung grundsätzlich rechtmäßig ist.

  1. Die Videoüberwachung muss offen (also mit sichtbarer Kamera und ordnungsgemäßer Beschilderung, beispielsweise gemäß dem Muster der Aufsichtsbehörde Niedersachsen) erfolgen.
  2. Die Speicherdauer sollte möglichst kurz sein und in jedem Fall gut begründet werden. Wer auf der ganz sicheren Seite sein möchte, begrenzt die Aufzeichnungsdauer auf die sehr kurze, von den Aufsichtsbehörden festgelegte Zeit von maximal 72 Stunden. Mit etwas mehr Mut zum Risiko können auch die teilweise gerichtlich zugelassenen 10 Tage gewählt werden. Von jeder längeren Speicherdauer raten wir, sofern nicht gravierende Gründe dafür sprechen, nach wie vor ab. Das jetzt vorliegende Urteil des BAG halten wir für eine Einzelentscheidung, die nicht verallgemeinert werden sollte. In jedem Fall sehen wir bei längeren Speicherdauern nach wie vor ein erhebliches Rechtsrisiko.
  3. Der Zugriff auf die Aufnahmen ist auf das minimal notwendige Maß einzuschränken. Im hier vorliegenden Fall eines Tabakwarenladens hieße das vermutlich, dass lediglich der Inhaber Zugriff hat.
  4. Die Auswertung der Aufnahmen ist ausschließlich anlassbezogen vorzunehmen. Hierzu müssen entweder
    1. ein Einbruch, Überfall oder ähnliche Vorfälle erfolgt sein oder
    2. der konkrete Verdacht bestehen, dass Mitarbeiter im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses eine Straftat begangen haben.

Das Urteil des BAG betrifft thematisch den zuvor beschriebenen Fall 4 b (konkreter Verdacht). Da die Tat mit sehr kurzen Speicherdauern vermutlich kaum nachweisbar gewesen wäre, könnte auch anlassbezogen für einen begrenzten Zeitraum eine laufende Auswertung der Aufnahmen erfolgen. Alternativ könnte die Speicherdauer – ebenfalls für einen begrenzten Zeitraum – deutlich verlängert werden. Der gesamte Vorgang wäre dann zu protokollieren. Das hat mehrere Gründe: Zum einen muss die längere Speicherdauer, bzw. die laufende Auswertung gerechtfertigt werden, zum anderen ist diese Protokollierung Teil der Rechenschaftspflicht und des in Art. 32 Abs. 1 lit. d DSGVO geforderten Verfahrens zur „zur regelmäßigen Überprüfung, Bewertung und Evaluierung der Wirksamkeit der technischen und organisatorischen Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Verarbeitung“ (siehe hierzu auch diesen Artikel).

Wird jetzt über einen längeren Zeitraum, der im Voraus festzulegen ist, kein Beweis aufgezeichnet, welcher den bisherigen Verdacht bestätigt oder zumindest erhärtet, so ist wieder auf die ursprüngliche kürzere Speicherdauer zurückzugehen. Dieser längere Zeitraum kann unseres Erachtens aber nicht sechs Monate oder mehr betragen, da einer solch langen Frist die Regelungen des § 26 BDSG entgegenstehen, konkret beziehen wir uns hier auf den letzten Teilsatz von Abs. 1 Satz 2: „[…] insbesondere [dass (Red.)] Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind“.

Planen Sie eine Videoüberwachung oder haben einen Anlass, die Aufzeichnungen auszuwerten? Wenden Sie sich an uns, wir unterstützen Sie!